Mühldorf. "Wir planen das mit 3,2 Milliarden Euro Investitionssumme wichtigste Infrastrukturprojekt in der Region", betonte Alexander Pawlik, seit 1. April 2022 Gesamtprojektleiter der DB Netz AG für die Eisenbahn-Ausbaustrecke München - Mühldorf - Freilassing (ABS38). Der neue Chefplaner stand zusammen mit den Abschnittsleitern Sven Kluba (West) und Michael Althaus (Ost) mit FDP-Politikern aus Südostbayern im Mühldorfer Infozentrum Rede und Antwort. Die Veranstaltung hatte die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht (Ampfing) initiiert.
Das Projekt ABS 38 legt nach Einschätzung von Pawlik die Verkehrsstruktur für die weiteren Jahrzehnte fest. Die 145 Kilometer lange Strecke von München über Mühldorf nach Freilassing und ins Chemiedreieck nach Burghausen soll durchgehend elektrifiziert und in weiten Teilen zweigleisig ausgebaut werden, um künftig den verkehrlichen Anforderungen gerecht zu werden.
Nicht glücklich sind die Auswirkungen des noch von der schwarz-roten Vorgänger-Bundesregierung verabschiedeten Maßnahmengesetzvorbereitungsgesetzes (MgvG), das defacto zu einem Projektstopp geführt hat. Zum jetzigen Zeitpunkt kann keine seriöse Aussage gemacht werden, bis wann das Projekt fertiggestellt wird. Manche kursierenden Jahreszahlen sind aber Unsinn. Es gibt eine Verzögerung von mehreren Jahren - nicht von Jahrzehnten, so Pawlik. Eineinhalb Jahre Zeitverlust habe das Gesetz bereits verursacht. So kommt es durch das MgvG zum einen zu einer Änderung des Verfahrensablaufes und zum anderen zum Vorziehen von Planungen. Es musste Zeit gefunden werden für eine zusätzliche Öffentlichkeitsbeteiligung im Rahmen des Scoping-Verfahrens. Außerdem musste die Bahn weitere Umweltaspekte einer Prüfung unterziehen. Anders als im ursprünglichen Zeitplan des Projektes vorgesehen, konnte die Bahn auch einige Verfahrensschritte nicht parallel vornehmen, sondern musste sie zeitlich gestaffelt durchführen. Zudem werde ausgerechnet ein Großprojekt wie die ABS38 zum Präzedenzfall für das Gesetz.
"Wir geben nach der Vollbremsung jetzt Vollgas", sagt der Leiter der ABS 38, Alexander Pawlik, der die Chance sieht, unvoreingenommen zu starten und auch neue Ansätze zu verfolgen. "Wir tun alles, um zu beschleunigen." Abschnitt-West-Leiter Sven Kluba sieht die Weichen für endgültige Lösungen im Dialog gestellt: "Wir müssen im gemeinsamen Dialog Ängste nehmen, denn die Pläne aus der Vergangenheit sehen heute ganz anders aus." Die Knoten um die Kosten für Kreuzungsbauwerke auf der Strecke seien nur zu lösen, so Abschnitt-Ost-Leiter Michael Althaus, wenn von "Maximalforderungen" Abstand genommen wird. Trotzdem: "Es muss für jedes Bauwerk eine Lösung geben." Alle drei betonten, dass man den Dialog mit allen Betroffenen noch weiter intensivieren möchte.
Die Erdinger FDP-Kreisrätin Rosmarie Neumeier-Korn sieht die Gefahr, dass die Stimmung in der Bevölkerung kippt, wenn einzelne Orte bevorteilt werden. Lärmschutz sei gerade auch im Landkreis Erding ein präsentes Thema, da fast parallel die Autobahn A 94 durch das Isental führe. Positiv sei, dass durch den Ausbau der Zugstrecke ins Chemiedreieck eine höhere Fahrplanstabilität für die Berufspendler und den Güterverkehr komme.
Die Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht ärgert sich über die Scheinheiligkeit in der Debatte um die Gründe für die Verzögerung: Ein vermeintliches Beschleunigungsgesetz und eine per Ministererlass geschenkte Eisenbahnbrücke bei Weidenbach gingen auf den ehemaligen Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) zurück. Für die verlorenen Jahre beim ABS38-Projekt sei die CSU verantwortlich. Der zurückgetretene CSU-Generalsekretär Stephan Mayer habe mit Nebelkerzen versucht, die Verantwortung der eigenen Partei zu verhüllen. Es sei dreist, die Verantwortung dem neuen FDP-Minister in die Schuhe zu schieben. Mayer hatte Wissing aufgefordert, unverzüglich das Projekt zu beschleunigen, betont Bubendorfer-Licht.
Die Bedeutung des Projektes für das südostbayerische Chemiedreieck sei in der Bundeshauptstadt bekannt, betonte die FDP-Bundestagsabgeordnete Sandra Bubendorfer-Licht: "Berlin weiß, wie wichtig das Projekt ist." Sowohl Bundesverkehrsminister Volker Wissing als auch der zuständige Eisenbahn-Staatssekretär Michael Theurer seien eingebunden. Mit einem Besuch von Theurer in der Region sei bald zu rechnen, so die Abgeordnete.
Alexander Pawlik sieht die Ausbaustrecke als großen Tanker, der jetzt wieder Fahrt aufnimmt. Die meisten Mitarbeiter seien Ingenieure, so sagt er, die auch bauen wollen, was sie planen.
Dann sollen auch die Einspareffekt im Bereich des Umweltschutzes wirksam werden: 121,6 Mio. Pkw-Kilometer, 20,7 Mio. Lkw-Kilometer, 23.100 Tonnen CO2/Jahr, 30 Prozent weniger CO2 durch Elektro-Lokomotiven. Es gibt nicht nur Umweltschutzgründe für den Ausbau: Laut Pawlik verkürzen sich etwa die Reisezeiten von München nach Mühldorf um rund zehn Minuten. Das Verkehrsprojekt bindet auch die Anschlussverbindungen in den Landkreis Rottal-Inn besser an das Schienenverkehrsnetz an, wie der Rottaler FDP-Kreisvorsitzende Nick Kelldorfner berichtet. Mit Fertigstellung des Projektes würden sich dann neue Wege eröffnen, auch die Zugverbindungen durch das Rottal attraktiver zu gestalten.
Franz Farthofer aus Marktschellenberg, FDP-Kreisvorsitzender aus dem Berchtesgadener Land, begrüßt es, wenn besonders der ABS38-Abschnitt zwischen Tüßling und Freilassing eine verbesserte Anbindung an das Nachbarland Österreich schafft. In Zukunft sollen nicht nur bessere Fernverkehrsverbindungen nach Wien möglich sein, auch der Regional- und Nahverkehr werde ausgebaut. Durch ein drittes Gleis zwischen Freilassing und der Grenze zu Österreich werde die Verbindung zwischen dem Berchtesgadener Land und dem Salzburger Zentrum noch attraktiver und leistungsfähiger, so Farthofer.
Wer Interesse an der Planung der heimischen Bahnstrecken hat, kann sich im Infozentrum am Mühldorfer Bahnhof etwa die Auswirkungen unterschiedlicher Lärmschutzmaßnahmen testen oder sich verschiedene Planungsschritte mit Virtual-Reality-Brille vor Augen führen lassen. Weitere Infos: www.abs38.de